Von Wolfgang Schillhahn
Die einen säen, die anderen ernten….
Während ich mich mit den Vorbereitungen zum heutigen Festtag beschäftigte, ging mir (mitten im heißen Sommer) immer wieder die Zeile eines Weihnachtsliedes durch den Kopf: „Wisst ihr noch, wie es geschehen, immer werden wirs erzählen…“
Ich weiß, das Lied besingt die Geburt unseres Herrn Jesus Christus. Die ist einmalig. Unübertroffen. Unvergleichlich. Aber „sich erinnern“ und „etwas Besonderes weiter zu erzählen“ gibt es ja nicht nur zur Weihnachtszeit.
Unser tägliches Leben ist voll von Erinnerungen und Erzählungen. Und unser Kirchbau gehört dazu. Die Wetzlarer Neue Zeitung (die oft berichtet hat) hat damals getitelt: „Einmaliges Beispiel für gelungene Selbsthilfe. Die St. Paulsgemeinde baut sich ihre neue Kirche selbst!“
Liebe festliche Gemeinde,
bevor ich nun aus bewegten Kirchbaujahren erzähle, möchte ich, sozusagen in einer stillen Minute, an alle diejenigen erinnern, die mit uns gebetet, geplant, gebaut, geopfert haben, und heute nicht mehr unter uns sind. Wir vermissen sie schmerzhaft, wissen sie aber bei Gott gut aufgehoben.
Pfarrhaus und Kirche unserer Gemeinde sind Stein gewordene Erinnerungen an Jeden und Jede von ihnen. „Danke Gott für diese Schwestern und Brüder!“ Mit ihnen bleiben wir in Christus verbunden.
Auch an die Vorfahren, die am 11. April 1880 zum ersten Gottesdienst im Hause des Johann Georg Kuhn als freikirchlich-lutherischen Gemeinde zusammen waren, möchte ich erinnern. Obwohl damals die Polizei kam und der Gottesdienst auf Befehl des damaligen Ortsvorstehers beendet wurde. Obwohl „die Gemeinde sehr arm und das Gehalt sehr gering war, wurde es doch möglich, bald Pfarrhaus mit Kirche zu bauen.“
Wie wahr ist, was St. Johannes schreibt: „Der eine sät, der andere erntet. Ich habe euch gesandt zu ernten, wo ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten.“
Was unsere Vorfahren 1881 unter schwierigsten Umständen säen durften, ist prächtig gewachsen, so dass wir am Kirchweihtag 1983 üppig ernten konnten und seitdem selbst ohne Ende säen , was unsere Kinder und Enkel ernten werden, bevor sie wieder säen…
Neues Pfarrhaus, alte Kirche, junger Pfarrer
Als ich endlich wusste, wo das Ulmtal lag und mich im Herbst 1976 auf meiner ersten Reise dorthin erst einmal in Allendorf bei Merenberg verirrt hatte und dann Allendorf(Ulm) fand und von der Bahnhofstrasse her im September zum ersten Mal in meinem Leben unseren „heiligen Berg“ erklommen habe stand, ich vor einem ungewöhnlichen Gotteshaus. Kirchsaal, angebaute Empore für die Chöre, frühere Pfarrwohnung, die zu Gemeinderäumen wurde. Der kleine Eingangs – Vorbau mit kleiner Sakristei und guten Blick in die Bahnhofsstrasse. Alles nicht gerade taufrisch. Auf den ersten Blick wenig sakral.
Ich wagte den Blick durch die Fenster. Auffallend war die Säule in der Mitte, die später beim Abriss so widerspenstig war, aber mit Walter Wagners Traktor dann doch „umgelegt“ wurde.
Ins Auge fiel auch die Kanzel, hoch unter der Decke. Ich habe damals noch nicht daran gedacht, wie sehr man in solcher Höhe ins Schwitzen kommen könnte!
Und dann die Klappfenster, die zur Belüftung so nötig waren. Es gehörte fast zum sonntäglichen Ritual: Irgendwann stellte jemand fest: „Es zeiht…“ Krach! Das Fenster war zu. Ganz zu schweigen von der Ölheizung in den Gemeinderäumen..
Seit dem Festtag der Himmelfahrt unseres Herrn im Jahre 1977 durfte ich dann Pfarrer an dieser Kirche sein, die meinen liturgischen Vorstellungen von einem Gotteshaus so gar nicht entsprach, und die mir dann (sozusagen beim zweiten Blick) doch so sehr ans Herz gewachsen ist, dass ihr späterer Abriss so etwas „von einer Beerdigung“ an sich hatte.
Schnell habe ich gemerkt, was wirklich zählt: Nämlich die Gemeinde, die Gottes Wort hören wollte und die hl. Sakramente begehrte und die unsere äußerlich bescheidene Kirche Sonntag für Sonntag so reichlich füllte. Die gab es in Allendorf(Ulm) Ob alte Kirche, ob neue Kirche. Die Gemeinde ist immer ihr herrlichster Schmuck. Und die Freude des Pfarrers.
Als ich zum ersten Mal von Kirchbauplänen hörte, ging es mir ins eine Ohr rein, durchs andere raus. Ich war wirklich der festen Meinung, dass ich vom Kirchneubau erst einmal verschont würde, so nach dem Motto: Leute reden viel, wenn der Tag lang ist…und haben große Wünsche….
Aber so konnte nur jemand denken, der noch keine Ahnung hatte von der Mentalität der Allendorfer: Die waren (und sind es wohl immer noch) nicht nur fromm, sondern auch praktisch, vielseitig begabt, empatisch, tatkräftig und feierfreudig, gelegentlich auch dickköpfig.
(Nebenbei bemerkt: Wenn ich „Allendorfer“ sage, meine ich alle Gemeindeglieder, die Ulmer, die Wetzlarer, die Dillenburger, die Biskirchener, die Weilburger, die Bissenberger. Eben: Alle. Und mit „gendern“ hab ichs auch nicht.)
Jedenfalls: Nach wenigen Jahren waren wir, ehe ich mich versehen habe, mitten drin, im Planen, Bauen und Feiern.Die St. Paulsgemeinde wurde eine Kirchbaugemeinde.
Unterwegs zum Kirchneubau
Der Evangelist S. Lukas fragt: „Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen.“ Die Antwort ist klar: Niemand baut ins Blaue hinein und die Allendorfer schon gar nicht. Der Kirchenvorstand wurde der Bauausschuss. Horst Biemer übernahm gekonnt und umsichtig die Baukasse. In meinem Dienstkalender häuften sich die Termine, die irgendwie mit dem Kircheneubau zu tun hatten. Die Gemeinde wuchs zu einer Mannschaft zusammen. Um ein reges Gemeindeleben (das es ohnehin schon gab) mussten wir uns keine weiteren Gedanken machen. Wir hatten unser Thema und unsere Aufgaben.
Eigentlich hat unser Kirchbau unbemerkt schon 1973 begonnen, als in der Amtszeit von Pfarrer Klaus Peter Kässner sehr erfolgreich das Pfarrhaus gebaut wurde. Da ist etwas geschehen, was für unsere Zeit höchst ungewöhnlich und deshalb bemerkenswert ist:
In der Pfarrhaus-Baukasse war am Ende noch Geld, dass dann den Grundstock bildete für die Kirchbaukasse und (vielleicht) dazu Lust und Mut machte, einen Kirchneubau ins Auge zu fassen.
Je länger je mehr wurde das Geld ein wichtiges Thema. Und natürlich gab es Bedenken und Überlegungen: Werden wir genug Gottvertrauen, Geld und Kräfte haben, um es auszuführen? Ich erinnere mich an manches Gespräch und an das Bemühen des Kirchenvorstandes, möglichst alle Gemeindeglieder auf den Weg mitzunehmen, was zum Schluß ja auch wirklich gelungen ist.
Im Jahr 1978 waren wir viel unterwegs, um neue Kirchbauten zu besichtigen und uns eine Meinung zu bilden. Wie könnte unsere Kirche überhaupt aussehen? Was wollen wir? Was brauchen wir? Turm? Glocken?
Ich weiß nicht, wie es gekommen ist: Aber eines schönen Tages stand der Kirchenvorstand in der Kirche der Gemeinde Sperlingshof.
In einer großen, überhaupt nicht selbstverständlichen Einigkeit, waren wir der Meinung, dass diese Kirche auch gut nach Allendorf passen würde. Unsere Experten hatten schon bald eine Vorstellung davon, dass unsere Kirche noch ein bisschen schöner und in der Aufteilung praktischer werden würde.
Aber, und das war die Frage: Eine Kirche kopieren? Der damalige Sperlingshofer Pfarrer Gerhard Hildebrandt fand den Gedanken nicht so lustig, hat mir aber glücklicherweise nebenbei verraten, dass das Original dieser Kirche irgendwo im Schwarzwald steht. Das hat mich beruhigt. Wir sind die Kopie einer Kopie. Auf anständige Weise sind wir dann an die Baupläne gekommen.
Heiner Klose hat dann ein wunderschönes Modell gebaut, das manchen von uns dann auch sehr beruhigt hat. Man konnte sehen: So soll es werden…. Die Firma Keul hat die Bauaufsicht übernommen.
Mittendrin feierten wir Tagelang mit vielen Höhepunkten unseren 100 Gemeindegeburttag. Das durch die damals neue Ge,eindeordnung auch die Frauen endlich Stimmrecht bekam, kam unserem geplanten Kirchbau bestimmt zu Gute! Unser Kirchbauprojekt war nicht mehr zu stoppen. Trotz aller Anstrengungen, die Freude wuchs, auch wenn uns die Frage der Finanzierung natürlich hartnäckig begleitet hat.
Wer soll das bezahlen
Keine Frage: Wer bestellt, bezahlt. Viele Gemeindeglieder haben wirkliche Opfer gebracht. Viele Gebete! Viel Geld. Viele Feierabende und Urlaube wurden auf der Baustelle zugebracht. Im „Weg“ einer landeskirchlichen Zeitung, wurde staunend über unseren Kirchbau berichtet: „Viele Gemeindeglieder nahmen Urlaub zum Kirchenbau“.
Innerhalb unserer SELK und außerhalb unserer Gemeinde ließen sich viele Menschen von unserer Baulust anstecken und haben geholfen, das Haus des Herrn zu bauen. Kleine und große Beträge aus Spenden und Kollekten summierten sich. Die Gesamtkirche hat großen Anteil genommen und uns durch die Bausteinsammlung mit einem hohen Betrag bedacht. Die Baukasse wuchs.
An einem Pfingsttag fuhr eine Truppe Allendorfer mit den Fahrrädern nach Wetzlar zum Gottesdienst. Hin- und zurück 50 km! Fünf DM Startgeld flossen pro Radler in die Bau-Kasse.
(Nebenbei habe ich gelernt: Predigen ist besser als Radfahren!)
Wir ließen jedenfalls keine Gelegenheit aus, zu sammeln und zu werben.
Immerhin brauchten wir etwa 1 Million DM und wollten davon etwa 400 000 DM als Eigenleistung aufbringen.
In 20-30 Jahren (also bis 2013) wollte man den Baukredit getilgt haben. 1988 war alles bezahlt.
Vielleicht hat der eine oder andere dann doch im Kirchweihgottesdienst gebetet: Lieber Gott, verzeih, dass ich anfangs so skeptisch war!
Das große Loch
Am 27.09.1981 feierten wir den letzten Gottesdienst in unserer alten Kirche und nahmen dankbar an, dass wir für die Bauzeit in der Ev. Kirche mit unseren Gottesdiensten zu Gast sein durften. Eine gesunde, geistliche Wehmut lag in der Luft. „Abschied von meiner Kirche: Hier wurde ich getauft, konfirmiert, getraut. Hier saß ich mit meinen Eltern, Großeltern, Paten. Hier haben in 143 Jahren, vom ersten bis zum letzten Gottesdienst, 7 berufene Pfarrer gepredigt und das hl. Abendmahl gefeiert. In solche Erinnerungen mischt sich dann die bange und neugierige Frage: Wie wird es weitergehen? Und es ging mit jedem Tag weiter.
Viele Gemeindeglieder haben dann, wie wir Pfarrhausbewohner, gemerkt, dass es nun ernst geworden ist. Wir sahen aus unseren Fenstern und konnten das große, gähnende Loch nicht übersehen! Da stand über hundert Jahre unsere Kirche! „Ich kann nicht hinsehen“ sagte mir Wilhelmine Knetsch damals.
Eines Tages wäre mein MAZZDA fast in diesem Loch verschwunden. Ich hatte unterlassen, die Handbremse anzuziehen und sah am frühen Morgen nur noch das Hinterteil meines Autos.
Dann dieser riesengroße Kran, der sich bei Wind so schnell drehte. Meine Frau machte sich da so ihre Gedanken. Dabei war es gut, dass er sich bei starken Wind drehte! Bald kamen die mächtigen Beton-Laster, haarscharf am Pfarrhaus vorbei. Ich weiß noch, wie ich gestaunt habe, über die Mengen von Beton, die für Kirche und später für das Kirchturmfundament eingebracht wurden. Aber wir wissen ja auch , was mit Häusern geschieht, die nicht auf „Felsen, sondern auf Sand gebaut sind!“
Der Grundstein
Aber die Stunden des großen Lochs auf unserem Berg waren gezählt. Nach nur vier Wochen stand das Kellergeschoss Wer noch beim Anblick des „großen Lochs“ erschrocken war, der spürt nun die Freude der anstehenden Grundsteinlegung. Ein erster, wichtiger Schritt war getan als sich am 28.März 1982 wieder eine große Gemeinde auf der Bodenplatte zur feierlichen Grundsteinlegung versammelte.
Viele Gäste aus der Nachbarschaft und dem Dorf waren dabei und die Wetzlarer Neue Zeitung hat ausführlichst berichtet und sogar Imhalte der Ansprachen richtig wiedergegeben.
170 cm lang war die Urkunde, von Heiner Klose in 15 Stunden kunstvoll handschriftlich angefertigt.
Walter Wagner und Paul Volkwein haben diese Urkunde, eine Wetzlarer Neue Zeitung vom Tage, Kirchenblätter, unsere Festschrift zum Hundertjährigen, gültige Geldmünzen, und einen Stein der alten Kirche eingemauert. Zuvor durfte ich die Urkunde vorlesen. Noch nach 40 Jahren weiß ich, wie feierlich aufgeregt ich dabei war. So eine Grundsteinlegung kommt ja nicht in jedem Pfarrerleben vor und höchst selten mehr als einmal. Trotz der Belastungen, die so ein Neubau für alle Generationen der Gemeinde gebracht hat, haben Kirchen- und Posaunenchor bei jeder Gelegenheit für das unüberhörbare Gotteslob gesorgt.
Gemeindeleben auf der Baustelle
In einem sehr umfangreichen Zeitungsartikel hat die Wetzlarer Neue Zeitung über Kirchbau und Gemeindeleben berichtet und angemerkt, dass die „Gemeinde ein reges Gemeindeleben hat.“ Nach meiner Erinnerung hat unser Gemeindeleben auch in angemieteten Räumen oder in den Häusern der Gemeindeglieder stattgefunden. Dazu kam dann, situationsbedingt, das rege Gemeindeleben auf der Baustelle.Das waren auch schöne Gemeindekreise, die in den Arbeitspausen stattfanden. Da gab es sonnabends wunderbares Frühstück und wir haben herrliche, meist gespendete Fleischwurstringe zur Auferbauung aller verspeist. Es war wie zu allen Zeiten in Allendorf, mit Verpflegung klappte es immer wunderbar.Ein anderer Kreis fand sich beim täglichen Abendläuten zusammen. Dann war das Tagwerk vollbracht, man hat den Tag noch einmal besorochen, und dabei geklärt, welche Schritte am nächsten Tag zu tun seien und dabei ein schönes Bier getrunken. Unser Nachbarpfarrer, Propst Wolfgang Kühn war ein gern gesehener Gast, der nie mit leeren Händen kam. Ich war auch gerne mittendrin, auch weil ich die neusten Nachtrichten aus unseren Gemeindefamilien erfuhr. Ich war ja nebenbei auch noch Seelsorger.
Aber, es ging ja nicht nur um Fleischwurst und Biertrinken. Ich habe „auf dem Bau auch wirklich etwas gelernt.“ In meiner Glanzzeit kon nte ich, ohne zu verunglücken, mit einer beladenen Schubkarre über ein Brett fahren. Unter mir der tiefe Graben um den Rohbau herum.
Die Schaufel war nicht so mein bevorzugtes Gerät. Aber als ich tatsächlich einmal eine in der Hand hatte und sie wirklich benutzte, war der Photograf der Wetzlarer Zeitung auf dem Grundstück. „Pfarrer Wolfgang Schillhahn arbeitet mit den freiwilligen Helfern“ stand unter dem Bild. So ungerecht geht es manchmal zu. Trotzdem: Der Zeitungsausschnitt erfreut mich bis heute.Ich habe Martin Volkwein bei der Verlegung des Blitzableiters geholfen und ich habe dafür gesorgt, dass an jedem Morgen die Maurerarbeiten pünktlich und sofort beginnen konnten.Nach entsprechender Einweisung durch unsere Fachleute habe ich nämlich vor Arbeitsbeginn frühmorgens schon die erste Mischmaschine gefüllt und Mörtel produziert. Eine Schaufel Sand, eine Schaufel Zement, eine Schaufel Sand…alles genau abgezählt. Die Maurer kamen und konnte n sofort anfangen.Die Deckenbretter unserer Kirche hat der jetzige Missionsdirektor Roger Zieger gestrichen. Er war damals Praktikant in unserer Gemeinde und ich habe gedacht (so ein bisschen an der kirchlichen Ordnung vorbei) „ora et labora“ (bete und arbeite) wird ihm nichts schaden. Markus Müller, damals mit Dirk Heilmeier die Konfirmandengruppe, heute Rektor des Naemi-Wilke- Stiftes in Guben, hat das „Gemeindeleben auf der Baustelle eindrücklich und treffend in der Festschrift zum 125. Gemeindegeburtstag beschrieben: „Wir erlebten den Kirchbau wie ein Abenteuer. Gleichzeitig waren die Bauarbeiten ein tolles Gemeinschaftserlebnis. Wir erlebten, dass wir für die Gemeinde wichtig waren. Wir durften unsere (körperlichen) Kräfte einbringen, um das große Ziel: eine neue, schöne, große Kirche, zu verwirklichen. Und unser Einsatz wurde von den Erwachsenen anerkannt. Wir fühlten uns angenommen und aufgenommen, wenn wir in großer Runde beim Frühstück, Mittagessen oder Kaffeetrinken zusammensaßen und erzählten. Ich habe die Geschichten von früher gerne gehört, die Klause Wilhelm oder Peusche Herrmann erzählten. Wir hatten dabei eine Menge Spaß. Mich hat gerade auch der Einsatz der Älteren begeistert, die täglich vor Ort waren und viel geleistet haben, so dass am Wochenen -de, wenn die Jüngeren Zeit hatten, es kräftig weitergehen konnte.“
Wenn man das liest kann man verstehen, was mir einer meiner Nachfolger, der so ein bisschen Kummer mit der Gemeinde hatte, sagte: „Ich kann doch nicht auch noch ne Kirche bauen!“Liebe Brüder und Schwestern, es war eine Gnadenzeit, in der Gott uns wirken ließ! Nicht, weil wir so brav und toll waren, sondern weil Gott voller Liebe ist und es gut meint, mit seinen Kindern. Alles ohne nennenswerten Unfall und ohne Streit in der Gemeinde!
Natürlich gab es auch kritische Augenblicke. Gerade bei der Inneneinrichtung ging es ja oft auch um Geschmacksfragen, über die man ja bekanntlich nicht streiten kann.Mehr als ein kritischer Augenblick war die Beschlussfassung zur Frage: Neue Orgel oder nicht? Seit 1971 hatte die Gemeinde eine elektronische Orgel (die ja auch eine besondere Geschichte hatte und uns ans Herz gewachsen war). Diese wollte man einfach wieder einbauen und somit auf den Kauf einer gebrauchten Pfeifenorgel verzichten, die uns günstig von einer evangelischen Gemeinde angeboten wurde. Die Diskussion ging hin und her. Ich befürchtete, wir würden nie zu einer Pfeifenorgel kommen, wenn das Elektronium erst einmal installiert war.Und habe mich,, als wir die Sache besprachen, dann so deutlich geäußert, dass ich mich dann mindestens bei 2 Gemeindegliedern ebenso deutlich entschuldigt habe. Aber:
Die Orgel kam. Niemand wird den Kauf bereuen. Was hatten wir in der Folgezeit für herrliche Kirchenmusik. Ich erinnere mich an die Wetzlarer Domkantorei, an den Limburger Madrigalchor, Martin-Luther-Kantorei. Das Collegium Johanneum.
Im Übrigen musste ich immer wieder bei Gemeindegliedern dafür werben, dass wir erst Kirchweih feiern wollen, wenn alles, innen und außen, auch fertig ist. „Herr Pfarrer, wir können doch erstmal im Untergeschoß Gottesdienste feiern!“ Es ist (wie man so sagt) der „Tod im Topf,“ wenn man die Orgel, die Glocken, den Turm, ein künstlerisches Glasfenster auf später verschiebt. Oft genug wird nie etwas daraus.
Der 14. August 1983, der ins Auge gefasst Kirchweihtag, rückte immer näher. Ich weiß gar nicht so genau, wie das überhaupt alles geklappt hat. Das Werk war vollbracht. Plötzlich war er da, der Tag der Kirchweihe.
Aber es wurde dann zum Schluss doch noch spannend.Wenn ich mich recht erinnere, ist der Altar erst im letzten Augenblick gekommen. Dieser Altar war eigentlich als Übergangslösung gedacht. Mancher träumte von einem Steinaltar. Ich auch. Der Eingang musste nachgebessert werden. Er war zu niedrig. Und dann: Wir hatten unsere Freude an einer schönen Fahnenstange. Die Kirchenfahne, die dort zum Fest wehen sollte, stand in meinem Amtszimmer in der Ecke neben dem Aktenschrank. Als ich diese Fahne am Sonnabend hervorholte, traute ich meinen Augen nicht. Sie war (wie auch die Tapete hinter dem Aktenschrank) regelrecht zerfressen. Das ging auf Konto meines Mitbewohners im Amtszimmer. Meine Kinder hatten mir ihren Hamster einquartiert. Wir passten ganz gut zusammen, denn er war genauso nachtaktiv wie ich, verschwand aber (nicht wie ich) nächtelang immer hinter dem Aktenschrank. Frau Lehmann hat die zerfressene Fahne durch ihre Schneiderkunst gerettet. Die Fahne wehte und wir feierten.
Ein überwältigender Festtag- Kirchweihe
Der 14.August 1983 war ein großer, fröhlicher, unvergesslicher Danktag. Die Wetzlarer Neue Zeitung berichtete von über 1000 Kirchweihfestbesuchern. Unser ganzes Grundstück (und später zur Nachfeier die Ulmtalhalle) voller Christen! Es war wirklich überwältigend und ein Christuszeugnis im Ulmtal. Bischof Dr. Rost war unser Festprediger, Propst Kühn hat das Gotteshaus geweiht, Sup. Rothfuch war Assistent und feierte am Abend den Dankgottesdienst mit uns.“ Pfarrer Kässner, Pfarrer Zettler waren dabei. Das evangelischeen Kasseler Sonntagsblatt urteilte: „Dieses Gotteshaus ist eine Oase!“ „Ein Wunder ist geschehen!“ staunte Bischof Rost in seiner Predigt: Ein langer Zug von Pfarrern und Gemeindegliedern hat sich nach der Dankandacht in der ev. Kirche auf unseren Hügel bewegt. Die St. Paulsgemeinde (früher mal „die Mucker“) genannt, vor aller Welt auf den Weg in ihr neues Gotteshaus. Die gottesdienstlichen Bücher, die hl. Geräte wurden vorangetragen. Das war auch eine Predigt!„Tut mir auf die schöne Pforte“ haben wir vor der Schlüsselübergabe gesungen und dann „In dem Herren freuet euch“ und dann sahen wir den schönen Kirchraum und was aus unserer alten Kanzel geworden ist, nämlich die restaurierte heutige Kanzel und der Taufsteinfuß“.Es hat mir immer viel bedeutet, dass wir das Alte ins Neue mitgenommen haben und ich auf der gleichen Kanzel stand, auf der die Vorgänger, von Pfr. Karl Friedrich Ernst Hempfing bis Klaus Peter Kässner, gestanden haben. Immer unter anderen Umständen, aber stets mit der gleichen Botschaft von unserer Erlösung und von unserem Heil in Jesus Christus.
Ich schließe mit einer kleinen Anekdote:
Da sitzen Pfarrer zusammen und lassen sich weiterbilden. Thema: Die Predigt. Der Referent gibt den Versammelten folgenden Rat: Sie müs¬sen, wenn Sie predigen, das auch mit ih¬rer Mimik unterstreichen. Wenn Sie z. B. vom Him¬mel reden, müssen Sie die Gemeinde anstrahlen und ein fröhliches Gesicht machen. Da meldet sich einer der Teilnehmer und fragt zurück: „Und wenn ich von der Hölle rede?“ Antwort: „Dann können Sie so bleiben, wie Sie immer sind!“